45 Jahre, 2 Monate und 13 Tage.

Das ist eine unglaublich lange Zeit. Das ist ein halbes Leben.

Und diese lange Zeit hat Oma Hedi mein Leben begleitet.

Sie hat es bereichert. Und im ersten von drei Abschnitten hat sie es definitiv auch geprägt.

In diesem ersten Abschnitt ist sie für uns Enkelkinder das Kindermädchen. Heute würde man wohl „Tagesmutter“ sagen. Und auch ohne einen halben Freizeitpark im Vorgarten: es war immer etwas los. Und nie langweilig.

Oma war auch oft genug als Krankenpflegerin gefragt. Mal liebevoll bei einer meiner zahlreichen Mittelohrentzündungen. Mal eher rustikal. Zum Beispiel im Krankenhaus:

„Wie die den Gips aufmachen? Da nehmen die wahrscheinlich eine Säge!“

Das hätten Oma und Opa mal besser nicht gesagt.

Auch als Ersthelferin hat Oma sich bewährt: Bei meinem ersten echten Fahrradunfall ist sie zur Stelle. Und begleitet mich zum Zahnarzt, um die Spuren zu beseitigen.

A propos Spuren: Als Putzfee beseitigt Oma immer wieder die zahlreichen Spuren meiner Experimente. Selbst rote Ölfarbe hat bei ihr keine Chance!

Als Tiefbauerin hat sie schnell den Ruf weg:  jedes noch so tief in der Sandkiste vergrabene  Auto oder Spielzeug findet Oma wieder.

Und als Bodyguard beschützt sie uns vor größeren Kindern.

Widerspruch? Zwecklos.

„Versperr‘ mir doch die Sicht!

Dann hole ich aber meine Oma!“

Im zweiten Abschnitt wandelt Oma sich gemeinsam mit Opa zu einem zusätzlichen, wichtigen Pol meiner Kindheit.

Ganz nach dem Motto:

„Wenn Mama & Papa „nein“ sagen, frage ich halt Oma & Opa.“

So leisten die beiden zum Beispiel so manchen Fahrdienst. Dann hat Opa „angespannt“.

Und Oma hat als Co-Pilotin und „Fahrerassistenzsystem“ für eine sichere Fahrt gesorgt.

Und nicht nur, wenn die Kantine zuhause nicht geöffnet hat: Als ungekrönte Sterne-Köchin von Grünkohl, Rouladen, Frikadellen, Kartoffelsalat, Pizza, Pfannkuchen und vielen anderen Köstlichkeiten, sorgt Oma bei uns allen für ein regelmäßiges Völlegefühl.

Ob an Weihnachten oder zu anderen Anlässen: vor der zweiten Roulade die Segel streichen? Nicht mit Oma!

Wohlwollend hat Oma auch so manchen Makel in meinen Zeugnissen übersehen.

Oma ist einfach stolz auf ihren „Kleinen“. Und lässt nichts auf ihn kommen.

Der dritte und letzte Abschnitt ist dann geprägt von vielen Überraschungen.

Immer wieder – und meist unerwartet – hat Oma gute Ratschläge und Lebenserfahrungen parat.

Bei meinem letzten Besuch im Altenheim musste ich zum Beispiel wie immer auf das Testergebnis warten. Und da höre ich dann zwei andere Wartende sagen:

„Hach, was ist das nur für eine schlimme Zeit.“

Ich habe Oma dann direkt mal gefragt: „Wenn Du zurückblickst: ist das eine schlimme Zeit?“

Ihre Antwort – ich zitiere mal frei: „Naja. Das eingesperrt sein ist schrecklich. Aber schlimm? Das war der Krieg und die Zeit danach.“

Und ich gebe zu: ich habe das in dem Moment überhaupt nicht für möglich gehalten! Wie schnell kann doch eine wirklich schlimme Zeit anbrechen?

Nach Opas Tod teilt sie ein wichtiges Geheimnis ihrer Ehe mit mir:

„Eines war uns immer wichtig:

Geh‘ nie mit’n Streit nach’n Bett!“

So etwas sechs Wochen vor der eigenen Hochzeit zu hören? Das macht ja auch etwas mit einem … .

Wo wir beim Thema „Hochzeit“ sind:

Mit 91 Jahren macht Oma quasi „das Licht aus“. Nachts um 3 Uhr!

Unvergessen!

Was mich in diesem Abschnitt allerdings besonders beeindruckt?

Das Oma auch neuen Technologien sehr aufgeschlossen ist.

„Das versteht Deine Oma nicht mehr.“. Das sagt sie oft. Um dann mit großer Freude durch die Fotos und Videos im iPad zu wischen und sie mit den Fingern zu vergrößern.

Und mit ihrem Scooter hat sie plötzlich wieder einen deutlich größeren Bewegungsradius. Der ist dabei immer auf „Hase“ eingestellt.  

Ganz nach ihrem Motto: Immer vorwärts. Immer „volle Pulle“.

Oma war geradeheraus. Manchmal auch stur. Diplomatisches Geschick gehörte dann nicht unbedingt zu ihren Stärken.  

In meinem Falle war das im Grunde immer anders. Ich war für sie immer ihr „Kleiner“.

Ich bin sehr glücklich und dankbar für die gemeinsame Zeit mit ihr. Und all die schönen Erlebnisse und Erinnerungen.

Denn ihre fleißigen Hände dürfen jetzt ruhen.

Und für ihren „Kleinen“ beginnt nach 45 Jahren, 2 Monaten und 13 Tagen der nächste Abschnitt: der erste ohne Oma.

Das fühlt sich komisch an. Wie wohl für uns alle.

Wie jeder Mensch hinterlässt auch Oma eine Lücke. Im Alltag. Nicht allerdings in unseren Erinnerungen.

Dort werden die schönen und auch die weniger schönen Erinnerungen und Erlebnisse einen festen Platz haben.

Direkt neben einer starken Gewissheit:

Auch Dank ihrer tatkräftigen Unterstützung,

ihrer Zuneigung

und ihrer bedingungslosen Liebe

bin ich heute der Mensch, der ich bin.

Und könnte auf diesen nun vor mir liegenden Abschnitt nicht besser vorbereitet sein.

DANKE, Oma!

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